Ein Algorithmus schlägt Alarm und bietet so Entlastung für Ärzte sowie mehr Sicherheit für Patienten
Die Medizin der Zukunft wird immer enger mit der Digitalisierung verknüpft sein. Verschlechtert sich der Gesundheitszustand eines Patienten rapide oder drängt die Zeit aus anderen Gründen, können die Möglichkeiten der modernen Technik lebensrettend sein. Schnell, sensibel und genau – so kann man ein neues System beschreiben, das im Klinikum Braunschweig bereits in zwei Kliniken erfolgreich eingesetzt wird. So genannte Alertsysteme (Alarmsysteme) erkennen Warnzeichen bei Patienten noch früher und „schlagen Alarm“. Grundlage dafür ist die Auswertung von computerbasierten Algorithmen.
Der Ärztliche Direktor Dr. Thomas Bartkiewicz sieht die Einführung der Alertsysteme als wertvolle Ergänzung zu bereits bestehenden technischen Lösungen: „Die Digitalisierung ist im Klinikum Braunschweig längst angekommen und sorgt im Krankenhausalltag für mehr Behandlungsqualität, eine höhere Patientensicherheit und eine Entlastung der Mitarbeitenden.“ Positive Ergebnisse durch das im Klinikum-Informationssystem (SAP) integrierten Alertsystems gibt es bereits in der Medizinischen Klinik V (Nephrologie, Rheumatologie, Blutreinigungsverfahren). Chefarzt Prof. Dr. Jan T. Kielstein sagt: „Wir verfolgen damit das Ziel, unsere Patienten früh- und rechtzeitig vor hochgradigen Schädigungen zu schützen.“ Wie das funktioniert: Das System wertet zwei laborchemische Parameter aus. Der erste Teil ist das so genannte AKIN (= Acute Kidney Injury Network). Dieses macht sich die Entwicklung des Kreatinins als Nierenfunktionsmarker zunutze. Werden starke Kreatininanstiege in der Niere gemessen, schlägt das System Alarm. Gleiches gilt, wenn der Kreatininwert generell über 3 Milligramm pro Deziliter liegt. Eine Überschreitung kann bereits ein Hinweis auf einen chronischen Nierenschaden sein. Als weitere Alarm-Komponente wird die Konzentration von Elektrolyten im Blut der Patienten überwacht.
Etabliert wurde das Alertsystem in der Medizinischen Klinik V von Oberarzt Dr. Carsten Hafer. Die Arbeit mit dem System hat seine Anfänge Ende 2017, seit etwa drei Monaten verbessert die Verlaufsdokumentation in SAP nun auch die Kommunikation zwischen den einzelnen Stationen. Der Facharzt für Innere Medizin/Nephrologie und internistische Intensivmedizin erklärt: „Durchschnittlich 20-30 Mal pro Tag generiert das Programm Warnsignale. Dabei macht es nicht nur auf abweichende Laborwerte aufmerksam, sondern gibt den zuständigen Ärzten auch Handlungsempfehlungen für weitere diagnostische und therapeutische Maßnahmen.“ Neben der telefonischen Beratung und Einträgen im Verlaufsdokument ermögliche das Alertsystem eine deutlich zeitnähere nephrologische Betreuung. Für die Patientenversorgung berge das große Vorteile, da weitergehende Diagnostik (zum Beispiel eine Nierenbiopsie oder eine Dialyseeinleitung) und die Übernahme auf die nephrologische Schwerpunktstation erheblich beschleunigt werde. Dr. Hafer: „Auch die Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Betreuung kann sehr viel früher erfasst und realisiert werden. Zusätzlich haben wir den Eindruck, dass wir durch das Alarmsystem den interdisziplinären kollegialen Austausch fördern.“ Mittel- und langfristig sei das System für alle Beteiligten lohnenswert, da sich durch die Frühwarnung oftmals aufwändige spätere Behandlungen vermeiden lassen.
Für die Patientinnen und Patienten bedeutet das Alertsystem in erster Linie mehr Sicherheit. Dies zeigt sich auch in der Medizinischen Klinik I. Dort wurde die digitale Neuerung von einem Ärzteteam um Oberärztin Dr. Bente Völke und Oberarzt Dr. Stefan Sürig in den chirurgischen Kliniken am Standort Salzdahlumer Straße eingeführt. Das Alarmsystem erfasst hier nicht nur den Blutzuckerwert, sondern auch den Langzeit-Blutzuckerwert. Dr. Sürig bilanziert: „Wir konnten feststellen, dass bei jeden dritten Diabetes-Erkrankten der Blutzucker schlecht eingestellt ist.“ Die Folge: In dramatischen Fällen wird den Betroffenen umgehend eine Therapie angeboten, in weniger schlimmen Fällen zumindest der Hausarzt informiert. Durch die neue, besonders umfassende Diagnostik sei es sogar schon vorgekommen, dass Patientinnen und Patienten überhaupt erst einmal von ihrer Erkrankung erfahren haben, so Dr. Sürig. „Wir haben pro Woche 3-4 Erstdiagnosen eines Diabetes Mellitus. So entdeckten wir Patienten, die sonst möglicherweise erst Jahre später von ihrer Krankheit erfahren hätten und können sie so vor den schweren Folgeerkrankungen des Diabetes mellitus bewahren.“ Nach einer Testphase in der Urologischen Klinik wurde das System Ende 2018 auf alle chirurgischen- und die Neurologische Klinik ausgeweitet.
Für die Einführung der selbst programmierten und implementierten Alertsysteme am Klinikum Braunschweig ist aus technischer Sicht maßgeblich Andreas Schneider-Adamek verantwortlich. Der Leiter der Abteilung IT-Applikationsmanagement bilanziert: „Die Herausforderung bestand in der Komplexität der Anforderung: Meldungen, Quittierungen, Diagnosevorschlag, Handlungsempfehlungen sollten gezielt ausgelöst werden und dem Anwender zentral an gewohnter Stelle im klinischen Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden.“ Dies sei bestens gelungen. Schneider-Adamek: „Die Applikation ist patientenorientiert und vollständig in das vorhandene System integriert. Sie wurde Klinikums-Workflow-spezifisch und unter wirtschaftlichen Aspekten hergestellt, hierbei stand die Anwenderfreundlichkeit im Vordergrund.“